
Foto: Gudrun de Maddalena
Herr Palmer, kürzlich feierten Sie Ihr zehnjähriges Jubiläum als Oberbürgermeister der Stadt Tübingen. Sind Sie zufrieden, mit dem, was Sie bis jetzt erreicht haben?
Ja und Nein. Tübingen hat sich sehr gut entwickelt. 10% mehr Einwohner. 15% mehr Arbeitsplätze. 100% mehr Gewerbesteuer. Und das ohne Flächenverbrauch und mit 20% weniger C02-Emissionen pro Kopf. Es gibt aber auch viele Projekte, deren Umsetzung ich mir schneller gewünscht hatte, zum Beispiel den Neubau des Busbahnhofs. Es bleibt genug zu tun.
Tübingen ist das Paradebeispiel für eine Universitätsstadt. Die Stadt verzeichnete in den vergangenen Jahren einen stetigen Einwohnerzuwachs. Eine wohnungsbaupolitische Herausforderung…
Ja, die Universität ist in wenigen Jahren um 5000 Studierende gewachsen, nur ein kleiner Teil kommt in Tübingen zusätzlich unter. Neubauten von Appartements führen zu astronomischen Preisen, öffentlich finanzierte Wohnheime haben lange Finanzierungsvorläufe. Der Markt ist sehr eng und das übt dann durch WG-Bildung Druck auf andere Segmente aus. Einen schnellen Ausweg gibt es da leider nicht. Immerhin: Wir haben keine Notquartiere zu Semesterbeginn, mit dem größeren Umland klappt es doch irgendwo.
Was machen Sie wohnungsbaupolitisch dabei anders als Ihre Amtskollegen?
Die Frage stelle ich mir nicht, jede Stadt ist anders. Was Tübingen auszeichnet, ist die vollständige Konzentration auf Innenentwicklung. Wir hatten in zehn Jahren kein Neubaugebiet. Planerisch sind bei uns Baugruppen und Nutzungsmischung besonders ausgeprägt. Wir achten darauf, dass wir lebendige Quartiere bauen und keine toten Schlafsiedlungen.
Man kennt Sie als entschiedenen Gegner von Stuttgart 21. Gleichzeitig haben Sie in Tübingen viel in die Erneuerung der Verkehrswege investiert. Was muss eine zeitgemäße städtische Infrastruktur Ihrer Meinung nach leisten?
Stuttgart 21 halte ich für falsch, weil es einen Engpass für den Schienenverkehr für ein ganzes Jahrhundert setzt. Verkehrsinfrastruktur der Zukunft muss auf emissionsfreie Mobilität ausgerichtet sein und den Faktor Flächeneffizienz von Verkehr mehr berücksichtigen. Wir brauchen Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge und zugleich viel weniger Autos in den Städten, weil der Platz nicht da ist.
Auch die Reform zur Länderautonomie über die Grunderwerbsteuer jährte sich im September zum zehnten Mal. Kürzlich hat sich die Schwarz-Grüne Landesregierung gegen eine weitere Erhöhung ausgesprochen. Wie stehen Sie dazu?
Die letzte Erhöhung war für die Kommunen in Baden-Württemberg wichtig. Denn damit wurden unsere Kosten für den Ausbau der Kleinkindbetreuung finanziert. In der aktuellen Blasenphase wäre ein retardierendes Element auch volkswirtschaftlich nicht falsch.
„Schaffe schaffe, Häusle baue“ – das ist wohl der typischste Spruch, der beinahe jedem Deutschen über die Lippen geht, wenn vom Schwaben die Rede ist. Und tatsächlich: Mit 53,5 % Wohneigentumsquote liegt Baden-Württemberg deutlich über dem bundesweiten Schnitt. Woran liegt das?
Da bin ich überfragt.
Wer so viel spart - wie man Ihren Landsmännern und -frauen nachsagt - hat Eigenkapital fürs Eigenheim. Aber was ist mit denen, die ihr Sparschwein nicht mästen konnten. Soll ihnen der Traum vom Eigenheim verwehrt bleiben?
Da kann eine Kommune nicht viel tun. Wir haben mit unserem Baugruppenmodell zumindest einen Weg gefunden, wie der Erwerb einer Wohnung auch in einer Schwarmstadt wie Tübingen bezahlbar bleibt. Denn Baugruppen bauen ohne Gewinnzuschlag von Bauträgern und das kann bei uns derzeit durchaus 20% ausmachen, weil der Markt überhitzt.
Wie sollte sich Ihre Bundespartei positionieren, wenn Sie die Zukunft der Immobilienwirtschaft in den Blick nehmen?
Da bin ich mit meiner Partei ganz einig. Wir brauchen Instrumente für die Ausweitung des Wohnungsangebots und gegen den Preisauftrieb. Die Mietpreisbremse wirkt in der Form, die von der Bundesregierung gewählt wurde, leider nicht. Sie sollte daher effektiver gemacht werden. Finanziell muss sich der Bund im sozialen Wohnungsbau mehr engagieren. Und ökologisch ist es höchste Zeit, die Bremsen für Solarenergie auf dem Dach zu lösen. Die jetzt eingeführte Umlage auf Eigenstromverbrauch ist äußerst ärgerlich.
Und wie realistisch ist es, dass sich einige Ihrer Positionen auch im Wahlprogramm wiederfinden?
Das steht dort schon.
Ihre Partei will die Vermögenssteuer einführen, Hartz-IV Sanktionen abschaffen und ab 2020 den Verbrennungsmotor verbieten. Drei Beschlüsse, die Sie für falsch halten. Sie schreiben auf Facebook, dass Ihre Partei mit solchen Entscheidungen die kleine und feine 10 % Partei bleiben wird. Was würden Sie tun , wenn Sie an der Parteispitze wären?
Da will ich gar nicht hin. Ich suche aber den Dialog mit meinen Parteifreunden über den richtigen Weg. So wie die meisten Kommentatoren sehe ich es als Verzicht auf eine große Chance an, sich durch einseitige Beschlüsse auf einen Linkskurs festzulegen. Ich würde mir mehr Realismus wünschen.
Ihre Prognose für die Bundestagswahl 2017. Wo landen die Grünen?
Ein Jahr vorher nahezu unmöglich zu beantworten. Wir haben ja noch einen Programmparteitag im Frühjahr. Ich setze darauf, dass wir dann mehr darauf achten, was sich in den kommenden vier Jahren auch umsetzen lässt. Dann kann es schon gut zweistellig werden.
Das Interview ist erschienen im AIZ-Immobilienmagazin, Ausgabe 12/2016, Seite 16/17