Mit Urteil vom 12.11.2021 (4 K 1941/20 F) hat das Finanzgericht Münster entschieden, dass auch Abfindungen, die der Erwerber eines Grundstücks an die Mieter zahlt, um das Gebäude zu modernisieren, nachträgliche Herstellungskosten darstellen können. Nach Ansicht des Finanzgerichts kommen als Aufwendungen für Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen nicht nur Baukosten im technischen Sinne in Betracht. Denn der Zweck des Gesetzes besteht nach Ansicht des Gerichts darin, dass der Erwerber einer unmodernisierten Immobile, der diese im Anschluss an den Erwerb modernisiert, mit demjenigen gleichgestellt wird, der eine bereits modernisierte Immobilie kauft. Dies überzeugt nicht. Denn § 6 Abs. 1 Nr. 1 a EStG soll eine Typisierung darstellen, wann durch die Modernisierung eine wesentliche Verbesserung i.S. des § 255 Abs. 2 HGB erreicht worden ist.
Sachverhalt
Die Klägerin hatte eine denkmalgeschützte Immobilie mit vier Wohnungen für 1,2 Mio. EURO gekauft und in den folgenden zwei Jahren für 615.000 EURO modernisiert. Von dem Kaufpreis entfielen 836.818 EURO auf das Gebäude. Um die Mieter zum Auszug zu bewegen und die Modernisierung zu erleichtern, zahlte die Klägerin den Mietern eine Abfindung von insgesamt 35.000 EURO. Diesen Betrag machte sie als sofort abzugsfähige Werbungskosten geltend.
Das Finanzamt ließ den Abzug als Werbungskosten nicht zu, sondern behandelte die Abfindungen als anschaffungsnahe Herstellungskosten, weil bei Einbeziehung der übrigen Kosten für die Modernisierung die gesamten Kosten über der in § § 6 Abs. 1 Nr. 1 a EStG geregelten Grenze von 15 Prozent der Anschaffungskosten für das Gebäude lagen.
Das Finanzgericht hat die Klage abgewiesen. Nach seiner Ansicht erfasst die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 1 a EStG nicht nur technische Baukosten, sondern sämtliche Aufwendungen, die in einem Veranlassungszusammenhang mit den baulichen Maßnahmen stehen. Wenn der Käufer eine Immobilie erworben hätte, die bereits vom Verkäufer renoviert worden sei, hätten sich die vom Verkäufer gezahlten Abfindungen an die Mieter in einem höheren Kaufpreis niedergeschlagen. Der Zweck des § 6 Abs. 1 Nr. 1 a EStG bestehe darin, dass der Käufer einer noch nicht modernisierten Immobilie dem Erwerber einer bereits renovierten Immobilie gleichgestellt werde.
Die Kläger haben die vom FG zugelassene Revision eingelegt. Das Verfahren ist bei dem BFH unter dem Aktenzeichen IX R 29/21 anhängig.
Anmerkung
Das Urteil ist nicht überzeugend und entspricht auch nicht der Rechtsprechung des BFH. Denn der Besteuerung ist der Sachverhalt so zugrunde zu legen, wie er tatsächlich verwirklicht worden ist, und kein fiktiver alternativer Sachverhalt. Dass der Erwerber einen höheren Kaufpreis hätte zahlen müssen, wenn bereits der Verkäufer die Modernisierung durchgeführt hätte, kann nicht zu einer Umqualifizierung von Werbungskosten in Herstellungskosten führen.
Kosten für die Modernisierung eines Bestandsgebäudes können sofort abzugsfähigen Erhaltungsaufwand darstellen oder nachträgliche Herstellungskosten, die aktiviert werden müssen und sich nur in Höhe der Abschreibung als Werbungskosten auswirken. Gem. § 255 Abs. 2 HGB handelt es sich um nachträgliche Herstellungskosten, wenn das Gebäude erweitert oder wesentlich verbessert worden ist. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 a Satz 1 EStG gehören zu den nachträglichen Herstellungskosten eines Gebäudes auch Aufwendungen für Instandsetzungen und Modernisierungen, wenn diese innerhalb von drei Jahren nach der Anschaffung durchgeführt werden und die Aufwendungen (ohne Umsatzsteuer) 15 Prozent der Anschaffungskosten für das Gebäude übersteigen.
Die Problematik der Einordnung „anschaffungsnaher Aufwendungen“ ist nicht neu. Die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 1 a ist durch das StÄndG 2003 als Reaktion auf die Rechtsprechung des BFH eingeführt worden. Vorher wendete die Finanzverwaltung die Regelung in Abschnitt 157 Abs. 4 EStR an, die im Grundsatz dem jetzigen § 6 Abs 1 Nr. 1a EStG entsprach. Begründet wurde diese Auffassung von der Finanzverwaltung damit, dass der Erwerber einer reparaturbedürftigen Immobilie nicht besser stehen dürfe als derjenige, der eine ordnungsgemäß instandgehaltene Immobilie erwirbt. Dementsprechend hat man von dem „Institut“ des anschaffungsnahen Aufwands keinen Gebrauch gemacht, wenn der Käufer wegen der Reparaturbedürftigkeit nachweislich keinen Preisnachlass erhalten hat, etwa weil es sich um verdeckte Mängel handelte.
Bereits in den 90-ger Jahren hat der IX. Senat des BFH die Regelung kritisiert und entschieden, dass für die Abgrenzung zwischen Herstellungs- und Erhaltungsaufwand allein die Vorschrift des § 255 HGB maßgeblich sei. Mit Beschluss vom 17. Juni 1998 hat der IX. Senat des BFH klargestellt, dass auch die Beurteilung von Baumaßnahmen, die alsbald nach Anschaffung des Grundstücks durchgeführt werden, ausschließlich nach der Regelung des § 255 Abs. 2 HGB erfolgen darf (IX B 61/98, BFH/NV, 1999, S. 32). Bei sog. anschaffungsnahen Aufwendungen spreche allerdings die Höhe der Aufwendungen im Verhältnis zum Kaufpreis und deren enger zeitlicher Zusammenhang mit der Anschaffung dafür, dass die Baumaßnahmen zu einer wesentlichen Verbesserung des Gebäudes geführt haben. Auf diesem Verständnis beruhte die Einführung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 a EStG.
Die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 1 a EStG muss deshalb m.E. dahingehend verstanden werden, dass es sich um eine typisierende, unwiderlegliche Vermutung handelt, wann die Modernisierung zu einer wesentlichen Verbesserung des Gebäudes i.S. des § 255 Abs. 2 HGB geführt hat. Aus diesem Grund verbietet sich eine Auslegung der Vorschrift, nach der auch Mieterabfindungen zu den für die Berechnung der 15 Prozent-Grenze maßgeblichen Aufwendungen gehören. Denn von der Höhe der an die Mieter gezahlten Abfindung kann man nicht auf die Verbesserung des Gebäudes schließen.
Praxishinweis
In einschlägigen Fällen sollte man daher gegen entsprechende Bescheide der Finanzverwaltung unbedingt Einspruch einlegen und auf das Verfahren vor dem BFH hinweisen.
Im Ergebnis stellt die Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 a EStG ein Hindernis für die energetische Sanierung von Bestandsgebäuden dar. Denn gerade der Erwerber einer Immobilie ist in der Regel geneigt, in die Modernisierung des Gebäudes zu investieren. Daher sollte § 6 Abs. 1 Nr. 1 a EStG geändert und Satz 2 dahingehend ergänzt werden, dass auch Aufwendungen für Modernisierungsmaßnahmen i.S. des § 555 b Nr. 1 – 3 BGB nicht zu den Aufwendungen i.S. des Satz 1 des § 6 Abs. 1 Nr. 1 a EStG gehören.