Autor/in: Rechtsanwältin Karen Wolbers
Quelle: AIZ 4/2022
Autor/in: Rechtsanwältin Karen Wolbers
Quelle: AIZ 4/2022
Insbesondere ältere Teilungserklärungen enthalten hinsichtlich des Nutzungszweckes von Teil -oder Wohnungseigentum konkrete Zweckbindungen (zum Beispiel Bodenraum, Café, Laden, Büro, Hobbyraum, Ferienwohnung), die zwischen den Wohnungseigentümern häufig zu Auseinandersetzungen über die tatsächlich zulässige Art der Nutzung führen. Von den Gerichten muss dann im Rahmen einer Auslegung über die zulässige Nutzung entschieden werden.
Der Bundesgerichtshof hat seine frühere formalistische Rechtsprechung zu diesem Themenkomplex aufgeweicht und stellt nun auf die Frage ab, mit welchen Störungen bei einer sogenannten typisierenden Betrachtung zu rechnen ist. Für den WEG-Verwalter stellt sich die Frage, ob und wie er für die Gemeinschaft gegebenenfalls die Unterlassung einer zweckwidrigen Nutzung einfordern soll und ob er dazu verpflichtet ist. Mit diesem Artikel sollen daher diese Frage und die Abgrenzungsschwierigkeiten in der Praxis anhand einer aktuellen Entscheidung des Landgerichtes Hamburg beleuchtet werden.
In der Vergangenheit sind Konflikte über eine tatsächliche oder vermeintlich zweckwidrige Nutzung einer Wohnung oder gewerblichen Einheit (Teileigentum) regelmäßig zwischen den einzelnen Wohnungseigentümern ausgefochten worden. Die Gemeinschaft konnte solche Ansprüche zwar an sich ziehen, musste hiervon aber keinen Gebrauch machen. Mit dem Inkrafttreten der Reform des Wohnungseigentumsrecht zum 1. Dezember 2020 sind demgegenüber der WEG gemeinschaftsbezogene Ansprüche zur ausschließlichen Geltendmachung zugewiesen worden (§ 9a WEG). Damit ist grundsätzlich spiegelbildlich auch die Verpflichtung verbunden, die Ansprüche auch tatsächlich zu verfolgen. Mithin ist nun der WEG Verwalter als Vertreter der Gemeinschaft bei dem Bekanntwerden einer vermeintlich zweckwidrigen Nutzung gehalten zu entscheiden, ob eine Anspruchsverfolgung geboten ist und gegebenenfalls eine Entscheidung darüber in der Eigentümerversammlung
herbeizuführen.
In der Praxis ist es häufig nicht leicht zu entscheiden, ob eine Nutzung, die von der Teilungserklärung abweicht, tatsächlich auch eine rechtswidrige Nutzung darstellt. In der Rechtsprechung und juristischen Literatur ist zwar grundsätzlich anerkannt, dass Angaben zu Nutzungszwecken in den Teilungserklärungen und den Aufteilungsplänen grundsätzlich zu einer entsprechenden Widmung der betroffenen Einheit führen. Wird zum Beispiel ein Teileigentum als Laden gekennzeichnet, ist eine davon abweichende Nutzung als Gastronomie grundsätzlich unzulässig und eine Wohnung darf grundsätzlich nicht zu gewerblichen Zwecken verwendet werden. Die Grenzen sind hier allerdings zunehmend fließend. So hat das Landgericht Hamburg in einer Entscheidung vom 20.10.2021-318 S 47 / 20 eine Wohnnutzung im Vergleich zu einer gewerblichen Nutzung bei einer sogenannten typisierenden Betrachtung nicht regelmäßig als störender angesehen. In dem zugrunde liegenden Sachverhalt wurde eine im Aufteilungsplan mit „Lager“ bezeichnete Teileigentumseinheit von dem Teileigentümer als Ferienwohnung genutzt. Die Besonderheit des Falles lag zwar auch darin, dass das Landgericht in der Bezeichnung des Teileigentums als „Lager“ im Aufteilungsplan gerade nicht als konkrete Zweckbestimmung ansah, weil dem Teileigentümer hier zusätzlich eine umfassende Ausbauberechtigung des Lagers in der Gemeinschaftsordnung zugesprochen war; unter Berufung auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 16.07.2021-V ZR 284/19 stellt das Landgericht allerdings zusätzlich klar, dass ein von dem vereinbarten Zweck an sich ausgeschlossener Gebrauch dennoch zulässig sein kann, wenn dieser nicht mehr stört, als der nach der Gemeinschaftsordnung vorgesehene Gebrauch. Die bisherige klare Trennung zwischen Wohnraum und Gewerberaumnutzung wird daher stark aufgeweicht. Das Landgericht führt in seinen Entscheidungsgründen aus, dass die Wohnnutzung im Vergleich zu einer gewerblichen Nutzung bei typisierender Betrachtung grundsätzlich nicht als störender anzusehen ist, da es keinen Erfahrungssatz gebe, dass die Wohnnutzung die intensivere Form des Gebrauchs einer Sondereigentumseinheit darstellt
Nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 27.10.2017- V ZR 193/16) ist eine zweckbestimmungswidrige Nutzung dennoch zulässig, wenn sie bei einer typisierenden Betrachtungsweise nicht mehr stört als die vorgesehene Nutzung. Insoweit kommt es nicht auf die tatsächlichen Störungen an, sondern nur auf Störungen, mit denen „typischerweise“ zu rechnen ist. Der BGH hat in einer Entscheidung vom 25.10.2019 – V ZR 271/18 für die Unterscheidung zwischen einer Ladennutzung und der Nutzung einer Eisdiele darauf abgestellt, dass eine Nutzung als Eisverkaufsstelle jedenfalls dann zu einer größeren Störung als bei einem Ladengeschäft führt, wenn Außenflächen in Anspruch genommen werden und die Besucher so zu einem Verweilen und einer Kommunikation wie bei einem Gastronomiebetrieb angehalten werden. Die Nutzung als Laden wird dagegen als reine Verkaufsstelle angesehen, bei der die Gäste nach ihrem Einkauf den Laden auch sofort wieder verlassen und die Zweckbestimmung gerade nicht auf einen längeren Aufenthalt dort gerichtet ist.
Vor der Geltendmachung eines Unterlassungsanspruches ist mithin zu prüfen, ob die vorgefundene Nutzung bei einer generalisierenden Betrachtungsweise störender erscheint, als bei dem vorgesehenen Nutzungszweck zu erwarten ist, und ob die Teilungserklärung nebst Aufteilungsplan tatsächlich eine Zweckbindung enthält.
Bei eindeutig zweckwidrigen Nutzungen, die für die Miteigentümer mit unmittelbar erkennbaren Nachteilen verbunden sind, gehört es zu der Befugnis des WEGVerwalters, den Nachteil abzuwenden und unmittelbar für die Gemeinschaft tätig zu werden, § 27 Abs. 1 Nr. 2 WEG. Dies betrifft insbesondere zweckwidrige Nutzungen, die mit erheblichen Immissionen verbunden sind, sowie die sittenwidrigen Nutzungen (Nutzung als Bordell). Bei den übrigen Sachverhalten ist es sachgerecht, die Wohnungseigentümerversammlung mit der Frage zu befassen, ob ein Einschreiten erfolgen soll und darüber gegebenenfalls einen Beschluss zur herbeizuführen. Eine Verpflichtung des WEG-Verwalters zum Einschreiten ist mithin nur bei eindeutigen und nachteiligen Pflichtverstößen anzunehmen, ansonsten bleibt es dem Entschließungsermessen der Eigentümer vorbehalten, wie hier verfahren werden soll.
Die zahlreichen gerichtlichen Entscheidungen zu diesem Themenkomplex zeigen, dass die Abgrenzungsschwierigkeiten im Einzelfall schwierig sein können und damit auch die Erfolgsaussichten für eine Klage oft schwierig einzuschätzen sind. Auch der WEG-Verwalter ist daher gut beraten, eine Entscheidung nicht ohne juristische Hilfe zu treffen.
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