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Die Entscheidung

Der Bundesfinanzhof hat mit Beschlüssen vom 27. Mai 2024 in zwei Verfahren (Az. II B 78/23 und II B 79/23) die Vollziehung des Bescheides über den Grundsteuerwert ausgesetzt, da der Steuerpflichtige die Möglichkeit haben muss, nachzuweisen, dass der gemeine Wert des Grundstücks niedriger ist als der festgestellte Grundsteuerwert. Die Finanzverwaltung hat mit koordinierten Erlassen der obersten Finanzbehörden der Länder vom 24. Juni 2024 auf die Beschlüsse des BFH reagiert. Voraussetzung für die Aussetzung der Vollziehung ist nach Ansicht der Finanzverwaltung, dass der festgestellte Grundsteuerwert den gemeinen Wert um mindestens 40 Prozent übersteigt.

Ein Nachweis des gemeinen Werts ist zunächst nicht erforderlich. Das Finanzamt soll die Vollziehung des Bescheides über den Grundsteuerwert aussetzen, wenn schlüssig dargelegt wird, dass der Grundsteuerwert den gemeinen Wert um mindestens 40 Prozent übersteigt. Das Finanzamt soll zunächst 50 Prozent des Grundsteuerwertes von der Vollziehung aussetzen und die Aussetzung der Vollziehung angemessen befristen. Zugleich soll der Steuerpflichtige aufgefordert werden, den geltend gemachten niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen.

Als Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts kann in entsprechender Anwendung des § 198 Absatz 2 BewG ein Gutachten des zuständigen Gutachterausschusses im Sinne der §§ 192 ff. des Baugesetzbuchs oder von Personen, die von einer staatlichen, staatlich anerkannten oder nach DIN EN ISO/IEC 17024 akkreditierten Stelle als Sachverständige oder Gutachter für die Wertermittlung von Grundstücken bestellt oder zertifiziert worden sind, dienen. Außerdem kann als Nachweis in entsprechender Anwendung des § 198 Absatz 3 BewG ein im gewöhnlichen Geschäftsverkehr in den Jahren 2021 und 2022 zustande gekommener Kaufpreis über den zu bewertenden Grundbesitz dienen.

Verfahrensrecht

Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist nicht an eine bestimmte Frist gebunden. Voraussetzung ist lediglich, dass man gegen den Bescheid über den Grundsteuerwert Einspruch eingelegt hat und dieses Verfahren noch anhängig ist. Auch wenn die Einspruchsfrist abgelaufen ist, kann man daher noch den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung stellen. Hat man gegen den Bescheid über den Grundsteuerwert keinen Einspruch eingelegt und ist der Bescheid deshalb bestandskräftig geworden, hat ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung keine Aussicht auf Erfolg. Der Antrag muss sich auf die Aussetzung der Vollziehung des Grundsteuerwertbescheides beziehen. Selbst wenn man jetzt den Grundsteuermessbescheid erhält, darf man nicht die Aussetzung des Grundsteuermessbescheides beantragen, sondern muss die Aussetzung der Vollziehung des Bescheides über den Grundsteuerwert beantragen.

Antrag beim Gericht

Beim Finanzgericht kann man den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gem. § 69 Abs. 4 Finanzgerichtsordnung (FGO) nur stellen, wenn man vorher einen entsprechenden Antrag beim Finanzamt gestellt hat und dieser zurückgewiesen worden ist. Dies gilt auch dann, wenn man gegen den Bescheid über den Grundsteuerwert bereits Klage beim Finanzgericht erhoben hat. Der Antrag beim Finanzgericht ist auch dann zulässig, wenn man gegen die Zurückweisung des Antrags durch das Finanzamt keinen Einspruch eingelegt hat.

Hat man beim Finanzamt einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt und ist dieser zurückgewiesen worden, kann man dagegen Einspruch einlegen. Ein Rechtsmittel gegen die Zurückweisung des Einspruchs gibt es nicht, insbesondere kann man dagegen nicht Klage erheben (§ 361 Abs. 5 AO). Stattdessen kann man beim Finanzgericht einen neuen selbständigen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 FGO stellen. Dieser Antrag ist nach § 69 Abs. 3 Satz 2 FGO auch dann zulässig, wenn das Einspruchsverfahren gegen den Bescheid über den Grundsteuerwert noch beim Finanzamt anhängig ist.

Folge einer Aussetzung der Vollziehung des Bescheides über den Grundsteuerwert

Auch wenn die Vollziehung des Bescheides über den Grundsteuerwert ausgesetzt wird, kann die Gemeinde bzw. das Finanzamt den Grundsteuermessbescheid erlassen. Denn gem. § 361 Abs. 3 Abgabenordnung (AO) bleibt der Erlass eines Folgebescheides auch dann zulässig, wenn die Vollziehung des Grundlagenbescheides ausgesetzt wird. Die Rechtsfolge besteht nur darin, dass auch die Vollziehung des Grundsteuermessbescheides ausgesetzt werden muss. Auch dies hat allerdings nicht zur Folge, dass die Gemeinde den Grundsteuerbescheid nicht erlassen darf. Vielmehr besteht die Rechtsfolge lediglich darin, dass auch die Vollziehung des Grundsteuerbescheides ausgesetzt werden muss und der Steuerpflichtige die Grundsteuer insoweit erst zahlen muss, wenn über seinen Einspruch endgültig entschieden ist. Dies dürfte aber erst nach der Entscheidung des BVerfG geschehen.

Die Grenze von 40 Prozent

Ob die Wertdifferenz tatsächlich 40 Prozent betragen muss, ist allerdings zweifelhaft. Der BFH hat in den Leitsätzen der beiden Entscheidungen lediglich entschieden, dass der Wert der wirtschaftlichen Einheit den festgestellten Grundsteuerwert erheblich und deutlich unterschreiten muss. Lediglich in den Gründen hat der darauf hingewiesen, dass nach seiner bisherigen Rechtsprechung die Aussetzung der Vollziehung dann zu gewähren ist, wenn die Wertdifferenz 40 Prozent beträgt. M.E. könnten aber auch 30 Prozent als ausreichend deutlich anzusehen sein.

Maßgeblich wird letztlich sein, was das BVerfG in den Klageverfahren entscheidet. Nach meiner Ansicht kann man davon ausgehen, dass das BVerfG das neue GrStG nicht insgesamt als verfassungswidrig verwerfen, sondern dem Gesetzgeber lediglich aufgeben wird, das Gesetz zu ergänzen und dem Bürger die Möglichkeit zu geben, nachzuweisen, dass die angesetzten Parameter (Mieten, Bodenwerte) zu hoch sind oder dass der Verkehrswert im Ergebnis niedriger ist. Zumindest müsste die Möglichkeit geschaffen werden, die angesetzten Bodenrichtwerte gerichtlich zu überprüfen. Ob das BVerfG auch in den Klageverfahren verlangen wird, dass die Differenz zwischen dem Grundsteuerwert und dem gemeinen Wert einen bestimmten Mindestwert erreicht, ist zweifelhaft. Denn die Regelung des § 198 BewG kennt eines solche Anforderung nicht.

Geltung für das Bundesmodell

Die Beschlüsse des BFH und die Erlasse vom 24. Juni 2024 gelten allerdings nur für die Bundesländer, in denen das sog Bundesmodell eingeführt worden ist. Dem Bundesmodell sind elf Länder gefolgt. Zur der grundsätzlichen Frage der Verfassungsmäßigkeit des Bundesmodells hat der BFH jedoch nicht Stellung genommen. Beim Finanzgericht Berlin-Brandenburg sind mindestens vier Klagen anhängig, mit denen die Verfassungswidrigkeit des Bundesmodells geltend gemacht wird (Az.: 3 K 3026/23; 3 K 3170/22, 3 K 3018/23 und 3 K 3142/23).

Die Länder Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen und Niedersachsen haben dagegen von der im Grundgesetz geschaffenen Öffnungsklausel Gebrauch gemacht und für das Grundvermögen (Grundsteuer B) eigene landesgesetzliche Regelungen über die Grundsteuer erlassen, die nicht auf den Wert des Grundstücks, sondern auf die Flächen abstellen. Die Länder Saarland und Sachsen haben das wertabhängige Modell des Bundes übernommen, aber abweichende Steuermesszahlen eingeführt, um Wohngrundstücke zu entlasten.

Übersicht über die Modelle der einzelnen Bundesländer

Bundesland Bundesmodell Eigenes

Ländermodell

Baden-Württemberg modifiziertes Bodenwertmodell
Bayern Flächenmodell

Unterschiedliche Hebesätze innerhalb einer Gemeinde zulässig

Berlin x
Brandenburg x
Bremen x
Hamburg Flächen-Lagemodell
Hessen Flächenmodell mit einfachem

Faktorverfahren

Mecklenburg-Vorpommern x
Niedersachsen Flächen mit einfachem

Faktorverfahren

Nordrhein-Westfalen x
Rheinland-Pfalz x
Saarland Bundesmodell mit abweichenden Steuermesszahlen
Sachsen Bundesmodell mit abweichenden Steuermesszahlen
Sachsen-Anhalt x  
Schleswig-Holstein x
Thüringen x

 

Baden-Württemberg
Durch das Landessteuergesetz wurde in Baden-Württemberg ein modifiziertes Bodenwertmodell eingeführt, das lediglich auf die Werte des Bodens abstellt und die Bebauung unberücksichtigt lässt. Dagegen wurden in zwei Musterverfahren zahlreiche verfassungsrechtliche Einwände vorgetragen. Diese hat das Finanzgericht Baden-Württemberg mit Urteilen vom 11.06.2024 – 8K 2368/22 und 8K 1582/23 zurückgewiesen, aber die Revision zugelassen. Nach Auffassung des Finanzgerichts ist es mit dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes vereinbar, dass der Landesgesetzgeber für die Bemessung des Grundsteuerwertes ausschließlich auf den Wert des Grund und Bodens ohne Berücksichtigung der aufstehenden Gebäude abstellt.
Allerdings hat Baden-Württemberg in seinem Landesgesetz die Möglichkeit eingefügt, nachzuweisen, dass der tatsächliche Wert des Bodens geringer ist. Nach § 38 Abs. 4 LGrStG-BW muss durch ein qualifiziertes Gutachten nachgewiesen werden, dass der tatsächliche Wert des Grund und Bodens um mehr als 30 % von dem Wert nach § 38 Abs. 1 oder 3 LGrStG-BW abweicht.

Bayern
In Bayern ist ein Flächenmodell eingeführt worden, das wertunabhängig ist. Das Finanzgericht Nürnberg hat mit Beschluss vom 8.8.2023 (Az.: 8 V 300/23) die Aussetzung der Vollziehung abgelehnt, da das Gesetz verfassungsmäßig sei.

Hamburg
Hamburg hat das sog. Wohnlagemodell eingeführt. Die Berechnung wird auf der Ebene der Grundsteuermesszahl um einen Wohnlagenfaktor ergänzt, durch den die Wohnlage des Grundstücks berücksichtigt wird.

Hessen und Niedersachsen
Hessen und Niedersachsen haben ein sog. Flächen-Faktorverfahren eingeführt, bei dem auch die Bodenrichtwerte ergänzend berücksichtigt werden.
Beim 1. Senat des FG Niedersachsen ist ein Klageverfahren anhängig, das die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Niedersächsischen Grundsteuergesetzes zum Gegenstand hat (Az.: 1 K 38/24).

 

von Hans-Joachim Beck

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Rechtsberater Referat Steuern