Skip to main content

Eine Aussetzung der Vollziehung von Grundsteuerwertbescheiden (nur) wegen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der Bewertungsvorschriften setzt ein besonderes Aussetzungsinteresse voraus.
Die Verfassungswidrigkeit der Bewertungsvorschriften kann grundsätzlich nur im Verfahren gegen den Grundsteuerwertbescheid, nicht gegen den Grundsteuermessbescheid geltend gemacht werden.

Der Fall

Gegen den Grundsteuerwertbescheid vom 18.10.2022 hat der Antragsteller (Ast.) am 2.11.2022 Einspruch eingelegt und beim Finanzamt die Aussetzung der Vollziehung (AdV) beantragt. Der Antrag wurde mit Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der Bewertungsvorschriften für die Grundsteuer begründet. Über den Einspruch hat das Finanzamt noch nicht entschieden. Den Antrag auf AdV hat das Finanzamt mit Bescheid vom 6.2.2023 abgelehnt.

Mit Schriftsatz vom 17.2.2025 hat der Ast. beim Finanzgericht die AdV des Bescheides vom 18.10.2022 beantragt. Im Betreff seiner Antragsschrift hat er „Grundsteuermessbetrag/Grundsteuerwert“ angegeben. Zur Begründung hat er ausgeführt: Die Aussetzung der Vollziehung ist wegen unbilliger Härte anzuordnen (§ 69 Abs. 2 Satz 2 Alternative 2 FGO), weil mir durch die sofortige Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheides wirtschaftliche Nachteile drohen, die über die eigentliche Verwirklichung des Regelungsinhalts des Verwaltungsakts hinausgehen.

Die Entscheidung des Gerichts

Das Gericht hat den Antrag als unzulässig verworfen, jedoch die Beschwerde zum Bundesfinanzhof zugelassen. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt:

Das Gericht versteht den Antrag dahin, dass die AdV des Grundsteuerwertbescheides beantragt wird und nicht die AdV des Grundsteuermessbescheides. Denn Mängel im System der Bewertung des Grundbesitzes für die Grundsteuer können nur mit einem Rechtsbehelf gegen den Grundsteuerwertbescheid und nicht im Rechtsbehelfsverfahren gegen den Grundsteuermessbescheid geltend gemacht werden (vgl. BFH, Beschluss vom 15.4.2014, II B 71/13, BFHNV 2015, S. 7). Zwar ist die Entscheidung des BFH zum Verhältnis von Einheitswertbescheid und Grundsteuermessbescheid nach der früheren Rechtslage ergangen, der Einheitswertbescheid ist jedoch in dem neuen Recht durch den Grundsteuerwertbescheid ersetzt worden.

Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Grundsteuerwertbescheids ist unzulässig, weil der Ast. das für eine AdV wegen Verfassungswidrigkeit notwendige besondere Aussetzungsinteresse nicht dargetan hat.

Der für die Grundstücksbewertung zuständige 2. Senat des BFH hat mit Beschluss vom 15.4.2014 (II B 71/13, BFHNV 2015, S. 7) ausgeführt, die Gewährung einer Aussetzung der Vollziehung setze voraus, dass nach den Umständen des Einzelfalls ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht. Dieser Ansicht schließt sich der beschließende Senat an.
Der BFH hat in Fällen, in denen die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes auf verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Gültigkeit einer dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm beruhen, dem Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen den Vorrang vor den öffentlichen Interessen nur in folgenden Fällen eingeräumt:

  • wenn dem Steuerpflichtigen durch den sofortigen Vollzug irreparable Nachteile drohen,
  • wenn das zu versteuernde Einkommen abzüglich der darauf zu entrichtenden Einkommensteuer unter dem sozialhilferechtlich garantierten Existenzminimum liegt,
  • wenn das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eine ähnliche Vorschrift für nichtig erklärt hat,
  • wenn der BFH die von dem Steuerpflichtigen als verfassungswidrig angesehene Vorschrift bereits dem BVerfG gem. Artikel 100 Abs. 1 GG zur Prüfung vorgelegt hat,
  • wenn ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Beschränkung des bisher zulässigen Abzugs von laufenden erwerbsbedingten Aufwendungen als Werbungskosten bestehen, wenn es um das aus verfassungsrechtlichen Gründen schutzwürdige Vertrauen auf die Beibehaltung der bisherigen Rechtslage
  • oder um ausgelaufenes Recht geht.

(BFH, Beschlüsse vom 18.1.2023, II B 53/22, BFHNV 2023, S.382 und vom 1.4.2010, II B 168/09, BFHE 228, S. 149, BStBl. II 2010, S. 558).

Aus dem Vortrag des Antragstellers ergibt sich nicht, welcher nicht wiedergutzumachende Schaden bei ihm eintreten würde, wenn er die Grundsteuer zunächst bezahlen würde und diese später erstattet bekäme, falls das BVerfG die Verfassungswidrigkeit der Bewertungsvorschriften feststellen würde.

Die Beschwerde hat der Senat gem. § 128 Abs. 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 FGO zugelassen, weil noch nicht abschließend geklärt ist, ob bei einem Antrag auf AdV, der mit der Verfassungswidrigkeit der zugrunde liegenden Norm begründet wird, ein besonderes Aussetzungsinteresse erforderlich ist.

Anmerkung

Die Entscheidung entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH. Durch die Einlegung des Einspruchs wird die Vollziehung des angefochtenen Bescheides im Steuerrecht nicht gehemmt (§ 361 Abs. 1 Satz 1 AO). Auch wenn man gegen den Bescheid über den Grundsteuerwert Einspruch eingelegt hat, können daher der Grundsteuermessbescheid und der Grundsteuerbescheid ergehen, weil es sich dabei um Folgebescheide handelt (§ 361 Abs. 1 Satz 2 AO).

Zulässigkeit des Antrags auf AdV

Gegen den Bescheid über den Grundsteuerwert kann man beim Finanzamt einen Antrag auf AdV stellen. Voraussetzung ist, dass ein Einspruchsverfahren anhängig ist, weil man gegen den Bescheid Einspruch eingelegt hat und das Finanzamt über den Einspruch noch nicht entschieden hat (§ 361 Abs. 2 AO).

Selbst wenn das Finanzamt dem Antrag auf AdV stattgibt, können der Grundsteuermessbescheid und auch der Grundsteuerbescheid ergehen. In diesem Fall müssen jedoch auch die Vollziehung des Grundsteuermessbescheids und des Grundsteuerbescheids von Amts wegen ausgesetzt werden (§ 361 Abs. 3 AO).

Einspruch gegen den Grundsteuermessbescheid und den Grundsteuerbescheid

Gem. § 351 Abs. 2 AO können Entscheidungen in einem Grundlagenbescheid nur durch Anfechtung dieses Bescheids angegriffen werden, nicht durch Anfechtung des Folgebescheides. Die Bewertung des Grundstücks in dem Grundsteuerwert kann daher nur durch einen Einspruch gegen diesen Bescheid angefochten werden und nicht durch Einspruch gegen den Grundsteuermessbescheid oder den Grundsteuerbescheid. Ein Einspruch gegen den Grundsteuermessbescheid und ein Antrag auf AdV dieses Bescheids ist daher nur zulässig, wenn man geltend macht, auf den Grundsteuerwert sei die falsche Steuermesszahl angewendet worden.Ein Einspruch und ein Antrag auf AdV des Grundsteuerbescheides ist dementsprechend nur zulässig, wenn man geltend macht, es sei der falsche Hebesatz angewendet worden oder man sei nicht der Schuldner der Grundsteuer, weil man am 1.1. nicht Eigentümer des Grundstücks war.

Antrag auf AdV beim Finanzgericht

Hat man beim Finanzamt einen Antrag auf AdV des Bescheides über den Grundsteuerwert gestellt und ist dieser Antrag zurückgewiesen worden, kann man dagegen keinen Einspruch einlegen. Eine Klage ist jedoch gesetzlich ausgeschlossen (§ 361 Abs. 5 AO).

Hat das Finanzamt den Antrag auf AdV abgelehnt, kann man stattdessen beim Finanzgericht einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach § 69 FGO stellen. Dabei handelt es sich nicht um einen Rechtsbehelf gegen die Ablehnung des Antrags durch das Finanzamt, sondern um ein neues und selbständiges Antragsverfahren. Dennoch ist gemäß der ausdrücklichen Regelung in § 69 Abs. 4 FGO ein Antrag auf AdV beim Finanzgericht grundsätzlich nur zulässig, wenn man vorher einen entsprechenden Antrag beim Finanzamt gestellt hat und dieser zurückgewiesen worden ist.

Begründetheit des Antrags auf AdV

Sowohl nach § 361 Abs. 2 Satz 2 AO als auch nach § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO ist Voraussetzung für die Gewährung der AdV, dass entweder ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen oder dessen Vollziehung eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Eine derartige unbillige Härte setzt grundsätzlich voraus, dass die Vollziehung des Steuerbescheides einen Nachteil verursachen würde, der über die Zahlung der Steuer hinausgeht und der durch eine spätere Erstattung des Geldes bei einem Obsiegen in dem Rechtsstreit nicht rückgängig gemacht werden könnte. Dies muss der Antragsteller darlegen.

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides liegen vor, wenn eine summarische Prüfung ergibt, dass neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe vorliegen, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfrage oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfrage bewirken. Zweifel an der Rechtmäßigkeit können sich auch auf die Verfassungsmäßigkeit einer dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Norm beziehen. Nach der Rechtsprechung des BFH müssen in diesem Fall jedoch die Interessen des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung sowie gegen den Geltungsanspruch eines verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzes abgewogen werden. Daher verlangt der BFH außer den Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes ein besonderes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Diese Auffassung hat das BVerfG bestätigt (BVerfG, Beschluss v. 26.10.2004 – 2 BvR 246/98, FR 2005, S. 139 Nr. 3 und BFH/NV-Beilage 2005, S. 259 Nr. 3).

Den ausführlichen Beschluss vom 12.03.2025 – Az. 16 V 16040/25 finden Sie hier: https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/NJRE001605497

Ansprechpartner

Bundesverband

Rechtsberater Referat Steuern