Erlasse der Bundesländer zur Grundsteuer
Die Erlasse der Bundesländer zur Grundsteuer vom 24.6.2024 haben zwei Aussagen:
Die erste Aussage betrifft die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Finanzämter die Aussetzung der Vollziehung gewähren sollen. Dies haben wir bereits dargestellt.
Die Erlasse enthalten aber noch eine zweite Aussage, dies sehr viel wichtiger und sogar überraschend ist: Die Finanzverwaltung folgt der Auffassung des BFH, dass der Siebente Teil des Bewertungsgesetzes um eine – ungeschrieben „Escape Klausel“ zu ergänzen ist, nach der der Grundsteuerwertbescheid zu ändern ist, wenn der Eigentümer nachweist, dass der Grundsteuerwert um mehr als 40 Prozent höher ist als der Verkehrswert. Dies hat zur Folge, dass in diesen Fällen der Grundsteuerwert nicht dem Gesetz entspricht und deshalb eine fehlerbeseitigende Wertfortschreibung durchzuführen ist. Auch wer keinen Einspruch eingelegt hat, kann deshalb eine Änderung seines Bescheides über den Grundsteuerwert beanspruchen, wenn er nachweist, dass der festgesetzte Grundsteuerwert um mindestens 40 Prozent höher ist als der Verkehrswert (gemeine Wert) des Grundstücks.
1.
Hat der Eigentümer gegen den Bescheid über den Grundsteuerwert rechtzeitig Einspruch eingelegt, muss das Finanzamt den Bescheid nach § 172 Nr. 2 a Abgabenordnung (AO) ändern.
2.
Hat der Eigentümer keinen Einspruch eingelegt, muss das Finanzamt eine fehlerbeseitigende Wertfortschreibung nach § 222 Abs. 3 Bewertungsgesetz (BewG) durchführen. Der Bescheid wird in diesem Fall nicht rückwirkend berichtigt, sondern der Fehler nur für die Zukunft beseitigt. Fortschreibungszeitpunkt ist gem. § 222 Abs. 4 BewG der Beginn des Kalenderjahres, in dem der Fehler dem Finanzamt bekannt wird. Teilt der Eigentümer dem Finanzamt noch in diesem Jahr mit, dass der festgestellte Grundsteuerwert den gemeinen Wert um mindestens 40 Prozent übersteigt, wäre dies der 1. Januar 2024.
Voraussetzung ist außerdem, dass die Änderung mindestens 15.000 Euro beträgt. Dies dürfte jedoch nur bei sehr kleinen Grundstücken eine Rolle spielen, da die Schwelle von 40 % erreicht wird, wenn der gemeine Wert des Grundstücks 37.500 Euro beträgt – und der festgestellte Grundsteuerwert mindestens 52.500 Euro.
Der BFH hat in seinen Beschlüssen über die Aussetzung der Vollziehung vom 27. Mai 2024 (Az. II B 78/23 und II B 79/23) entschieden, dass das Gesetz ergänzend dahingehend auszulegen ist, dass der Eigentümer eine Herabsetzung des Grundsteuerwertes beanspruchen kann, wenn der festgesetzte Grundsteuerwert den nachgewiesenen gemeinen Wert um mindestens 40 Prozent übersteigt. Dadurch wollte der BFH eine Verfassungswidrigkeit der neuen Grundsteuer wegen einer Übermaßbesteuerung im Wege einer sog. verfassungskonformen Auslegung vermeiden.
Die Entscheidungen des BFH sind in Verfahren über den einstweiligen Rechtsschutz ergangen und besagen lediglich, dass die Rechtmäßigkeit der Grundsteuerwertbescheide ernstlich zweifelhaft ist, wenn der festgesetzte Wert den – nachgewiesenen – gemeinen Wert um mindestens 40 Prozent übersteigt. Dennoch folgt die Finanzverwaltung der vom BFH vertretenen Rechtsaufassung uneingeschränkt und geht in ihren Erlassen vom 24. Juni davon aus, dass der Siebente Abschnitt des BewG eine entsprechende ungeschriebene Regelung enthält. Aufgrund dieser neuen Auslegung des Gesetzes ist der festgesetzte Grundsteuerwert falsch, wenn der Eigentümer nachweisen kann, dass der festgesetzte Grundsteuerwert um mindestens 40 Prozent über dem gemeinen Wert liegt. Diese Grundsätze gelten allerdings nur für die Bundesländer, in denen das wertabhängige Bundesmodell gilt. Sie gelten also nicht für die Länder Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen und Hamburg.
Wenn der Eigentümer gegen den Grundsteuerwertbescheid Einspruch eingelegt hat, erledigt sich dieser durch den Änderungsbescheid nicht. Denn erst das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) kann endgültig darüber entscheiden, ob und in welcher Hinsicht das neue Grundsteuergesetz verfassungswidrig ist und welche Änderungen oder Ergänzungen der Gesetzgeber vornehmen muss. Es ist keineswegs sicher, dass das BVerfG dem BFH folgen wird. Denn die Entscheidungen des BFH beruhen auf der Annahme, dass Besteuerungsgegenstand der Grundsteuer der gemeine Wert (Verkehrswert) sei. Die im Siebenten Abschnitt des BewG enthaltene Wertermittlung des Grundsteuerwertes orientiert sich aber, anders als die Bewertung für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer, gerade nicht an dem gemeinen Wert, sondern versteht den Grundsteuerwert als einen Wert eigener Art. Dementsprechend sieht das Gesetz einen Nachweis des niedrigeren gemeinen Wertes nicht vor. Denkbar ist deshalb auch eine Entscheidung des BVerfG, dass der Eigentümer nicht den niedrigeren gemeinen Wert nachweisen darf, sondern das Recht haben muss, nachzuweisen, dass die angesetzten Berechnungsgrundlagen niedriger sind und beispielsweise die angesetzten Mieten mietrechtlich unzulässig sind. Fraglich ist auch, ob das BVerfG die vom BFH aufgestellte Grenze von 40 Prozent übernehmen wird. Denn beispielsweise ist im Landesgrundsteuergesetz von Baden-Württemberg (LGrStBW) eine Grenze von 30 Prozent geregelt. Eine solche feste Grenze ist im Ergebnis auch unbefriedigend. Denn wenn der Grundsteuerwert den nachgewiesenen gemeinen Wert (Verkehrswert) um weniger als 40 Prozent übersteigt, etwa nur um 35 Prozent, ist eine Herabsetzung auf den nachgewiesenen Wert nicht möglich. Sollte das BVerfG dem BFH nicht folgen und keinen Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts oder niedrigerer Rechengrundlagen zulassen, wäre eine Änderung des jetzt zugunsten des Eigentümers geänderten Grundsteuerwertbescheides zu Lasten des Eigentümers m. E. gem. § 176 AO aus Gründen des Vertrauensschutzes ausgeschlossen.
von Hans-Joachim Beck
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